NEUE SPD Die digitale politische Arbeit hat manche Vorteile – gerade in Zeiten der Corona-Pandemie. Aber in einem Punkt bin ich mittlerweile illusionsfrei: Das Digitale befreit nicht von entnervenden Wortbeiträgen
Von Martin Kaysh
Mancher lebt im Digital der Ahnungslosen, andere gucken böse, wenn du deren neueste Idee zum OV-Grillfest nicht prompt bei Instagram likest. Bald treten auch die der SPD bei, die ein Parteiprogramm niemals lesen, sondern bei YouTube als Erklärvideo anschauen würden – nebenher, während sie gleichzeitig Computerspiele zocken und bei WhatsApp Sprachnachrichten verschicken.
Da teilt sich die Welt. Andere spielen noch „Mensch, ärgere Dich nicht“. Die Innovativen in dieser Analogwelt denken vielleicht gerade darüber nach, eine Brieftaube mit einem Papageien zu kreuzen, weil… dann könnte man analoge Sprachnachrichten verschicken.
Die digitale politische Arbeit – wir haben sie in der Corona-Krise intensiv kennengelernt. Aber auch Pioniere der Computerpolitik haben in den letzten Wochen noch einmal ein höheres Level erreicht. Jetzt diskutiert man sowas wie eine SPD 4.0. So als brauche das Neuland einen modernen und gerechten Sound. Gibt es bald den beschlussfähigen Ortsverein Digitalien Nord? Wäre man von den monatlichen Kneipensitzungen mit Genossen befreit, denen niemand zuhört, oft nicht einmal sie selbst?
Da sind wir mittlerweile allerdings illusionsfrei: Das Digitale befreit nicht von entnervenden Beiträgen. (Aber wenigstens wird während einer langen virtuellen Sitzung das Bier nicht schal.) Gäbe es dann statt des Schriftführers einen Clickwart, der kontrolliert, ob im Elektronischen alles mit rechten Dingen zugeht?
Von Georg Christoph Lichtenberg stammt die Erkenntnis: „Ein Buch ist ein Spiegel, wenn ein Affe hineinsieht, so kann kein Apostel herausgucken.“ Im Internet läuft es im schlimmsten Fall umgekehrt, dann guckt der Apostel hinein, der Affe aber heraus. Auch Marx ließe sich modernisieren. Das Opium des Volkes von heute hätte allerdings mehr mit Bits als mit Beten zu tun. Wobei parallel zur Künstlichen Intelligenz die natürliche Blödheit zu wachsen scheint.
Vom Ortsverein kennt man ihn, den immer redenden Genossen, Typ Hubert, der nicht immer viel weiß, das dafür aber stets besser. Im Netz heißen diese Zeitgenossen EbertsErben78 oder Sexy_Revolution4.0. Sie tauchen in Scharen auf und haben zu jedem Thema Dutzende von Meinungen oder zu Dutzenden von Themen stets nur die eine Meinung. Meist die, die man ja wohl noch wird sagen dürfen.
Kommentarspalten von Netzinhalten quellen oft über von Trollen, rechter Hetze und Meinungsmüll. Wie man das Problem mit boshaften Äußerungen löst, zeigt ein norwegischer Rundfunksender auf komische Art. Wer dort im Netz Beiträge kommentieren will, muss zuvor ein kleines Quiz zum Inhalt lösen. Erst lesen, dann brüllen. Das kennen viele nicht.
Es könnte was werden mit der SPD 4.0. Spätestens dann, wenn die Analogen feststellen, dass bei der Kreuzung von Brieftaube und Papagei nur eines herauskommt: bunter Vogelschiss.
Martin Kaysh ist Kabarettist, Alternativkarnevalist („Geierabend“) und Blogger. Er lebt im Ruhrgebiet, freiwillig.